Als mein Ex mich verlassen und innerhalb von vier Wochen ersetzt hat, war für mich ganz klar: Ich bin schuldig. Hätte ich dies, das und jenes nicht getan, dann wären wir noch zusammen und hätten eine gemeinsame Zukunft vor uns. Mit keiner Sekunde kam in mir hoch, dass er auch seinen Anteil zur Trennung beigetragen hat, denn das war unmöglich, er war ja perfekt – zumindest in meinen Augen. Meine Schuldgefühle haben mich monatelang gequält, bis ich mich damit auseinandergesetzt habe.

In diesem Artikel möchte ich mit dir besprechen, was Schuldgefühle überhaupt sind, woher sie kommen und vor allem wie mit ihnen umgehen und ihnen entgegenwirken kannst.

Was sind Schuldgefühle?

Wenn du dir schon mal Gedanken darüber gemacht hast, dann wirst du feststellen, dass Schuldgefühle immer den Ursprung einer persönlich empfundenen Unzulänglichkeit haben. Knehr drückt es noch präziser aus und sagt:

Immer dann, wenn wir uns selbst und unseren eigenen moralischen Ansprüchen nicht gerecht werden können, fühlen wir uns schuldig.

Das macht Sinn und zeigt, dass der einzige Lösungsansatz mit diesen Emotionen umzugehen ist, uns mit unserem Selbstbild zu befassen.

Ein Beispiel anhand meiner eigenen Geschichte

Ich habe mich schuldig gefühlt, weil ich mir etwas anderes für mein Leben vorgestellt habe als mein Ex, weil ich einfach nach Amsterdam gegangen bin und am schlimmsten: Weil ich nicht mit ihm darüber gesprochen habe.

…hätte ich doch nur mit ihm geredet.

…hätte ich doch nur nicht auf mein Bauchgefühl gehört.

…hätte ich doch nur anders gefühlt.

Ich bin mir sicher, wenn du gerade verlassen wurdest, dann findest du diese Hätte-ich-doch-Vorwürfe zur Genüge in deinen Gedanken. Vielleicht sind sie auch so präsent, dass sie dich schier auffressen und dass dein Selbstwertgefühl im Keller ist, so wie bei mir. Ja? Dann lass uns diese negativen Selbstgespräche genauer anschauen.



Die Medaille hat immer zwei Seiten

Bevor du dich in einem Teufelskreis dieser selbstzerstörerischen Gedanken verstrickst, versuche die Situation objektiv (so gut es eben geht) zu sehen, denn jede Situation hat eine Kehrseite:

a) …hätte ich doch nur mit ihm geredet

Mein Ex hat mich scheinbar von heute auf morgen verlassen – zumindest war das für mich so. Für ihn aber nicht! Denn er hat sich schon Monate vorher mit dem Gedanken angefreundet, dass er sich eventuell trennen möchte. Er hatte genug Vorlaufzeit, um sich ein Leben ohne mich vorzustellen und zu planen, und ich wusste von all dem nichts. Und nein, ich habe es nicht kommen sehen, denn wenn ich ihn auf sein Verhalten angesprochen habe, dann hat er immer seinen Job vorgeschoben. Hätte ich besser nachhaken sollen? Habe ich nicht alles gegeben? War ich zu naiv? Vielleicht. Aber fällt dir etwas anderes auf?

Er hat auch nicht mit mir geredet, sondern seine Emotionen in einem stillen Kämmerlein mit sich selbst ausgemacht.

Befreit mich das von meinem Schuldgefühl? Nein, denn ich hätte noch stets das Gespräch mit ihm suchen können und müssen. Aber es relativiert mein Schuldgefühl und zeigt mir, dass nicht nur ich an der Trennung Schuld bin.

b) …hätte ich doch nur nicht auf mein Bauchgefühl gehört

Unsinn! Damals dachte ich ernsthaft, dass ich über mein Bauchgefühl und meine Intuition hinweg Entscheidungen treffen kann. Möglich ist das, aber niemals sinnvoll, denn gerade wir Frauen sind mit einem naturgegebenen Gefühl ausgestattet worden, dass uns schwere Entscheidungen erleichtert. Und das solltest du nutzen. Nein, das ist nicht immer einfach – so wie in meinem Fall, ich habe mich von meiner Intuition leiten lassen und mit meiner Beziehung dafür bezahlt.

Wie ich es heute sehe? Ich hätte anders damit umgehen und dieses Gefühl an meinen Ex adressieren sollen, aber ich bereue es nicht, dass ich auf meinen Bauch gehört habe. Im Zweifelsfall höre ich immer auf mein Bauchgefühl, und das lege ich dir auch wärmstens ans Herz.

c) …hätte ich doch nur anders gefühlt.

Ich habe mir ernsthaft Vorwürfe gemacht und mich schuldig gefühlt, weil ich anders gefühlt habe was meine Zukunftspläne angeht. So als hätte ich Einfluss darauf nehmen können. Ich wollte so gerne meine Wünsche unterdrücken und meine bis dato perfekte Beziehung weiterleben. Ich wollte nicht so fühlen, nur um an ihm festzuhalten.

Du kannst für das was du fühlst nichts, es ist nicht deine Schuld, wenn du dir auf lange Sicht etwas anderes wünschst als dein Partner. Es ist auch nicht deine Schuld, wenn du dich in jemand anders verliebst. Es kommt immer nur darauf an, was du damit machst und wie du damit umgehst.

Punkt b und c sind also nicht wirklich Umstände für die ich mich hätte schuldig fühlen müssen. Sie führen mich aber wieder zu dem Punkt, dass ich mit meinem Ex über meine veränderten Zukunftsvorstellungen und Wünsche hätte sprechen müssen. Und das habe ich nicht getan.

Wenn du verlassen wurdest, dann hast du jetzt bestimmt eine Liste an Dingen, von denen du denkst, dass du sie hättest anders machen und damit die Trennung verhindern können. Darum kommen wir zu der entscheidenden Frage:

Wie schaffst du es über Schuldgefühle hinwegzukommen?

  1. Analysiere die Situation objektiv und wertfrei

Wie schon gesagt, der erste Schritt um deine Schuldgefühle zu überwinden, ist sie und die Situation objektiv zu betrachten:

  • Was ist passiert? Analysiere die Situation wertfrei.
  • Verändert sich etwas an der Trennung, wenn du dich schuldig fühlst?
  1. Übernimm Verantwortung für dein Handeln und akzeptiere, dass du nur ein Mensch bist

Du bist nur ein Mensch und du kannst Entscheidungen treffen, die du bereust. Jeder von uns erlebt das mehrfach im Leben – und das ist auch gut so. Denn wenn du keine falschen Entscheidungen treffen würdest, woraus würdest du lernen? Wie würdest du dich weiterentwickeln?

Falsche Entscheidungen zu treffen, heißt zu wachsen – zumindest solange du dich damit auseinandersetzt und bewusst reflektierst. Verzeihe dir selbst und geh nicht so hart mit dir ins Gericht, auch wenn das nicht einfach ist.

  1. Lerne aus deiner Erfahrung und wende deine Erkenntnisse für die nächste Situation an

Du bist kein schlechter Mensch, weil du mit deiner heutigen Erfahrung anders handeln würdest.

Das Allerwichtigste in diesem ganzen Prozess ist, dass du daraus lernst. Es bringt dir nichts, zu erkennen, dass du eine falsche Entscheidung getroffen hast, wenn du beim nächsten Mal wieder genauso handeln würdest.

Nichts passiert ohne Grund!

Ja, es ist verdammt hart sich einzugestehen, dass wir mit etwas aus unserer Vergangenheit hätten anders umgehen sollen. Und ja, es ist noch viel härter zu akzeptieren, dass vielleicht alles anders gekommen wäre, wenn wir diese Entscheidung damals nicht getroffen hätten. Vielleicht aber auch nicht – und das solltest du nicht vergessen.

Das Leben gibt uns genau das was wir brauchen – ausnahmslos. Manchmal wollen wir dieses Geschenk nicht haben, es ist schwer auspacken und anzunehmen. Aber wenn du das lernst, das Leben als das anzunehmen was es ist, nämlich ein Lernprozess mit Höhen und Tiefen, dann fällt es dir auch leichter damit umzugehen, dass du mit deiner heutigen Erfahrung eine andere Entscheidung treffen würdest. Eine Entscheidung, die du aber nur deshalb anders treffen würdest, weil du gelernt hast wie.

Das Leben meint es gut mit dir, auch wenn wir es erst lange Zeit nachdem wir verlassen wurden, sehen können. Ich kann dir das aus meiner eigenen Erfahrung, aber auch aus der vieler meiner Klientinnen sagen.

Signatur

Foto: ©kateholms